10 Die industrielle Revolution (18. und 19. Jahrhundert)

Ab etwa der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert vollzieht sich auf der Zürcher Landschaft eine wirtschaftliche Revolution, die die Entwicklung der meisten Ortschaften des Zürcher Oberlandes prägte wie keine andere zuvor. In ganz besonderem Masse auch Uster. Die Protoindustrie, zu der auch die industrielle Heimarbeit zählte. Nun war die Heimarbeit nicht eine «Erfindung» des 17. oder 18. Jahrhunderts. Zu Hause gesponnen oder gewoben wurde bereits im 13. bis ins 16. Jahrhundert hinein, häufig Seide oder Wolle. Landschafts- und Familiennamen wie «Weberstüdli» um 1470 oder «Weber», aber auch Abrechnungszettel und ähnliche schriftliche Überlieferungen zeigen, dass das Metier auch in Uster schon früh verbreitet war. Grosse Verbreitung fand die Verarbeitung von Seide und Wolle in Uster aber vor allem im Verlauf des 17. Jahrhunderts, wobei die Seidenspinnerei bald an Bedeutung verlor und durch das Spinnen von Baumwolle abgelöst wurde. Im Zürcher Oberland, wo der Ackerbau aufgrund der Bodenverhältnisse – zu steil oder sumpfig – nicht in genügendem Masse möglich war und die Menschen aus Armut zu Dutzenden auswandern mussten, explodierte die Heimarbeit seit dem 18. Jahrhundert förmlich.

Spinnstühle auf Kredit
Da die Landwirtschaft in den langen und kalten Wintermonaten ruhte, bot sich die Heimarbeit an. Das ganze Geschäft war professionell organisiert. Textilverleger in Zürich besorgten für die Heimarbeiter die Rohmaterialien und kauften Ihnen die fertig gewobene oder gesponnene Ware zu einem festgelegten Preis wieder ab. Für die Web- und Spinnstühle mussten die Bauern Kredite aufnehmen. Im späten 18. Jahrhundert dominierte in Kirch-, Ober und Niederuster sowie in Nänikon, Werrikon, Nossikon und Riedikon die Weberei, auch wenn bei vielen parallel auch gesponnen wurde. In Uster war im Jahr 1790 die Hälfte der Gesamtbevölkerung also etwa 1553 Menschen in der Heimarbeit tätig, davon 34% Weber aber nur 16% Spinner.

Die charakteristischen Fensterbänder entstehen
Es war eine Arbeit, die von praktisch allen Familienmitgliedern betrieben wurde und für ein durchaus ansehnliches Zusatzeinkommen sorgte. Der Erfolg der Heimindustrie bewirkte, dass sich die Architektur vieler oberländer Bauernhäuser, in denen gewoben bzw. gesponnen wurde, auffallend änderte. Wo sich in den Häusern die Stube befand – der einzig beheizte Raum im Winter – wurde die Südwand mit einer durchgehenden Reihe von Fenstern versehen, die viel Licht in den Wohnraum liessen. Anhand dieser sogenannten «Weberfenster» kann man heute noch schnell erkennen, wo um 18. Jahrhundert Heimarbeit betrieben wurde. Die Heimindustrie bedeutete für viele Familien die Rettung aus der Armut, die im Oberland sonst besonders im Winter grassierte.

Beginn der maschinellen Industriealisierung
Gegen Ende des Jahrhunderts wurde der Kontinent von billigem, maschinell gefertigtem Garn aus England regelrecht geflutet, wogegen sich die Heimspinnerei kaum erwehren konnte. Sie brach auf weiter Front ein. Durch die Napoleonische Kontinentalsperre vermochte sich die Heimspinnerei nochmals zu erholen, aber mit Napoleons Ende ab 1814 war endgültig Schluss. Die Zukunft gehörte der maschinellen Produktion. In dieser Zeit lernten die Pioniere der industriellen Spinnerei die ersten mechanischen Spinnstühle auf dem europäischen Festland kennen und beschlossen selbst welche zu kaufen und Garn zu spinnen. Heinrich Kunz aus Oetwil am See war einer von ihnen. Die Heimweberei konnte sich hingegen noch behaupten, da sie über eine grössere Vielfalt von Fabrikaten und Motiven verfügte, die maschinell noch nicht reproduziert werden konnten.

Färberei

Bild Untere Farb 1885
Untere Farb 1885 - Bild von Julius Gujer
(Quelle: Fotosammlung Stadtarchiv & Kläui Bibliothek Uster)

Zu den sogenannten Manufakturen innerhalb der Protoindustrie gehörten die Färbereien, von denen es im Zürcher Oberland fast in jeder grösseren Siedlung eine gab. Die meisten waren sogenannte Blaufärbereien, die Garne und Tücher Blau färbten. Zunächst bis etwa 1800 mittels der Färberwaidpflanze, später ab etwa 1815 mit importierter Indigo-Pflanze aus Indien, oder aus den französischen bzw. englischen Kolonien. Ab 1878 konnte Indigo synthetisch hergestellt werden. In Uster gab es mindestens zwei Färbereien: Die Untere und die Obere Farb. Die Untere Farb an der Seestrasse 4 war wesentlich älter. Die Anfänge der Oberen Farb an der Florastrasse 6 liegen leider im Dunkeln. Da sie über einen Tröckneturm verfügte, dürfte sie erst nach 1815 gegründet worden sein, weil erst mit Indigo einigermassen geruchsarm gefärbt werden konnte. Im späten 19. Jahrhundert wurde sie zu einem Wohnhaus umgebaut und steht noch heute. Die Untere Farb dürfte bereits im späten 16. Jahrhundert bestanden haben. Sie lag damals noch weit ausserhalb des Dorfes, weil die Immissionen beim Färbeprozess zu stark waren. Auch waren die Abwässer stark verunreinigt. Die gefärbten Tücher wurden auf der nebenliegenden Wiese zum Trocknen ausgebreitet, wobei die Blaufärbung durch den Luftsauerstoff ausgelöst wird. Färbereien waren Veredelungsbetriebe welche fertig Gewobenes durch Farbe veredelten. 1848 stellte der Besitzer der Unteren Farb das Färben ein und konzentrierte sich auf Landwirtschaft. Heute steht die über 300 Jahre Untere Farb unter Schutz und soll dereinst als Heimstatt für das Stadtarchiv Uster, die Paul Kläui Bibliothek sowie die städtische Kunstsammlung dienen.

Zugehörige Objekte